URBAN TOUR AWARD WIEN 2022
Die Preisträger*innen 2022
Marco van Bentum
(Un)Ort Haltestelle und ihr Potential als öffentlicher Raum
School of Architecture, Department D6 Städtebau, Münster
betreut von Philipp Quack und Prof. Kazu Blumfeld Hanada AA. Dipl.
Würdigung
Marco van Bentum setzt sich in seiner Masterthesis an der Münster School of Architecture mit dem öffentlichen Raum in der Stadt auseinander.
Aufbauend auf dem Werk des Soziologen und Philosophen Henri Lefebvre (1901 – 1991), der mit seinem Buch „Recht auf Stadt“ in den 1960er Jahren einforderte, dass die Zivilgesellschaft in die Gestaltung ihrer Städte als Lebensraum einbezogen wird, vor allem der öffentlichen Räume, in denen sich alle gesellschaftlichen Schichten gleichberechtigt begegnen, analysiert Marco van Bentum die unterschiedlichen Funktionen und Qualitäten öffentlicher Räume unter dem Einfluss sich permanent verändernder gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen.
Aus der Vielzahl von öffentlichen Raumfunktionen greift er als Schwerpunkt Bahnhöfe und Haltestellen auf. Er analysiert und bewertet auf der Grundlage einer sorgfältigen historischen Analyse der Entwicklung der Bahnstrecken des Ruhrgebiets beispielhaft vier S-Bahnhaltestellen der ältesten S-Bahn-Linie 1. Anschließend entwirft er im Rahmen eines Handlungskonzepts für diese vier, Dortmund Oespel, Dortmund-Universität, Dortmund Dorstfeld-Süd und Dortmund Dorstfeld einen Turm, der die unterschiedlichen Ebenen der vier Bahnhöfe mit ihren unterirdischen und oberirdischen Räumen untereinander verbindet und um eine weitere Plattform in der Qualität eines Platzes beziehungsweise Rückzugsraumes ergänzt. Diese in Kreisen und Kreissegmenten gestalteten Türme mit Wendeltreppen gleichen eher einer Kunstskulptur als einem architektonischen Gebäude oder städtebaulichen Ensemble.
Die vorgeschlagenen Nutzungskonzepte für die vier S-Bahnhaltestellen werfen viele neue Fragen im Hinblick auf die Aufenthaltsqualität und soziale Sicherheit auf. Grundsätzlich würdigt die Jury jedoch den guten Aufbau der Arbeit und der sorgfältigen Auseinandersetzung mit den Handlungsbedarfen bei Bahnhöfen und Haltestellen als Bestandteil des öffentlichen Raumes.
Jan Oliver Dröge-Rothaar
Städtische (Lebensmittel-) Versorgung neu gedacht: Gestaltung eines integrativen, produktiven und urbanen Stadtbausteins am Beispiel des Berliner Großmarkts
TU Dortmund, Fakultät Raumplanung, Fachgebiet Städtebau, Bauleitplanung und Stadtgestaltungsprozesse
betreut von Prof Dr.-Ing. Ilka Mecklenbrauck und Prof Dipl.-Ing. Andreas Fritzen
Würdigung
Es gelingt dem Verfasser in überzeugender Weise, aus der themenbezogenen Literaturanalyse sachbezogene Strategieansätze und Umsetzungsideen für die Konzeption eines großstädtischen „versorgenden Stadtbausteins“ abzuleiten.
Die räumlich-funktionale Umsetzung dieses Stadtbaustein am Beispiel des Berliner Großmarkts in einem städtebaulichen Entwurfskonzepts ist gelungen. Es erfolgt eine gründliche Analyse der Ist-Situation mit zu beachtenden funktionalen Rahmenbedingen. Der durchdachte Entwurf zeigt eine mutige Vision für die schrittweise Umgestaltung des Großmarktareals auf, die jedoch an keiner Stelle ins Unrealistische abgleitet.
Die Masterarbeit leistet einen überzeugenden Beitrag zu aktuellen Themen der Stadtentwicklung.
Eva Stuke-Voswinckel
Strategien und Maßnahmen zur Hitzeanpassung in Städten und Anwendung am Beispiel Düsseldorf
Master Städtebau NRW
betreut von Prof. Dr.-Ing. Hildegard Schröteler-von Brandt und Prof. Dipl.-Ing. Christian Moczala
Würdigung
Der Klimawandel ist bei uns angekommen. Und deshalb trifft das Thema der Masterarbeit von Frau Eva Stuke-Voswinckel zu „Strategien und Maßnahmen zur Hitzeanpassung in Städten und Anwendung am Beispiel Düsseldorf“ den Nerv der aktuellen Planungsdebatte zu Resilienz im Städtebau.
Die Arbeit bietet einen guten Überblick über die aktuellen Entwicklungen und Prognosen zum Klimawandel und erläutert treffend und anschaulich die Zusammenhänge zwischen globaler Erwärmung und der besonderen Betroffenheit von Städten aufgrund des Hitzeinseleffekts.
Das Ziel der Arbeit ist es Lösungen aufzuzeigen, wie eine wirksame Abkühlung in den Städten gelingen kann. Anhand von konkreten Fallbeispielen im Inland und europäischen Ausland leitet Frau Stuke-Voswinckel konkrete Strategien und Maßnahmen zur Hitzeanpassung ab und überträgt diese Erkenntnisse in hervorragender Weise auf Anwendungsfälle in Düsseldorf. Dabei wird ein breites Spektrum an Maßnahmen aufgezeigt und auch deren Wirkung und Umsetzbarkeit kritisch hinterfragt.
Louisa Westphal
Nachhaltige Quartiersentwicklung auf dem Areal der ehemaligen Adolf-von-Nassau-Kaserne in Krefeld
TH Köln, Fakultät für Architektur Lehr-/Forschungsgebiet
Städtebauliches Entwerfen und Planungspraxis
betreut von Prof. Dipl.-Ing. Yasemin Utku und Herr Timm Sassen
Würdigung
Diese werden nicht nur qualitativ erfasst, sondern auch quantitativ berechnet. Die Leitbegriffe „Nachhaltigkeit“ und „Quartier“ werden, da von zentraler Bedeutung für die Arbeit, durchleuchtet und im Sinne der methodischen Klärung als Grundlage definiert.
Die umfassende Analyse betrachtet nicht nur die räumlichen Aspekte des Standorts, sondern auch immobilienwirtschaftliche Themen und die im Denkmalbereich notwendige Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Entwicklung. Aus der Analyse wird konsequent ein Leitbild und daraus der städtebauliche Entwurf abgeleitet. Der städtebauliche Entwurf selbst bleibt im Rahmen konventionellen Städtebaus, was aber im Zusammenhang mit dem Standort und den aus der Analyse abgeleiteten Immobilienprodukten konsequent erscheint. Die Arbeit zeigt insbesondere die Fachkunde und Tiefe in den Fragen der Nachhaltigkeit sowie der Immobilienökonomie.
Programm
URBAN TOUR AWARD 2022
in Wien vom 02. – 05.11.2022
Mittwoch, 02.11.2022
Vorprogramm für Teilnehmer, die schon in Wien sind
16.30 Uhr Treffen an der Rezeption des Hotels Motel One (Staatsoper) Kleiner Wienrundgang (Albertina, Hollein-Bauten usw. mit Abendimbiss
Donnerstag, 03.11.2022
9.00 Uhr Treffen an der Rezeption des Hotels
9.15 Uhr Fahrt vom Karlsplatz zum IBA-Zentrum Wien, Nordwestbahnstraße 16
10.00 Uhr Ausstellungsführung durch den Direktor der IBA Herrn Kurt Hofstetter
13.00 Uhr Fahrt zum IBA-Standort Seestadt Aspern
14.00 Uhr Mittagssnack im Cafe Ströck (U Seestadt)
15.00 Uhr Führung mit Einblicken zur nachhaltigen Energieversorgung, anschließend Rundgang durch die Seestadt Aspern mit Herrn Hofstetter
19.00 Uhr Abendessen im „Gasthaus Ubl“, Preßgasse 26 mit den Mitgliedern und korrespondierenden Mitgliedern aus Wien, den IBA-Vertretern und den vier Preisträgern Luise Westphal, Eva Stuke-Voswinckel, Marco von Bentum und Jan Droege-Rothaar
Freitag, 04.11.2022
9.00 Uhr Treffen an der Hotelrezeption
9.15 Uhr Fahrt nach Heiligenstadt zum Karl Marx Hof „Wohnungsbau der 1920er Jahre“
10.00 Uhr Führung und Ausstellungsbesuch „Das rote Wien“
11.45 Uhr Fahrt zum Wiener Hauptbahnhof
12.00 Uhr Mittagsimbiss
13.15 Uhr Treffpunkt Hauptbahnhof Südausgang mit Herrn Hofstetter, Besichtigung des Sonnenwendviertels und seiner Quartierhäuser
15.30 Uhr Fahrt zum Museum für angewandte Kunst
16.00 Uhr Rundgang durch das Museum „Wien um 1900“
18.00 Uhr Abendessen im „Restaurant Salonplafond“ des Museums und Verabschiedung
Für die Programm-Ideen und die Betreuung der Preisträger dankt der Förderverein des Vereins für Städtebau und Landesplanung NRW besonders dem Direktor der IBA Wien Herrn Kurt Hofstetter und unserem Mitglied Kunibert Wachten.
Reisebericht über den URBAN TOUR AWARD 2022 zur Schlusspräsentation der IBA Wien
Mit ihrem thematischen Schwerpunkt „Neues soziales Wohnen“ ging die IBA Wien ein Wagnis ein, denn Wien ist seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts in aller Munde, wenn es um soziales Wohnen geht. Was lässt sich am Wiener Modell der Wohnungsbauförderung noch verbessern, um den Anspruch einer internationalen Bauausstellung gerecht zu werden? Was die IBA Wien in den letzten Jahren auf die Beine gestellt hat, wollten wir den Preisträgerinnen und Preisträgern zeigen und mit ihnen an den Projekten diskutieren: politische Intervention in den Wohnmarkt, neue Arten von Qualifizierungsprozessen, besondere Programme für die Erdgeschosse, Gemeinschaftsangebote und Quartiershäuser, Grüngestaltung, zeitgemäße ökologische Grundsätze, Verkehrsinfrastruktur und vieles mehr. An den ausgesuchten IBA-Quartieren und IBA-Projekten wurde den Teilnehmern mit Führungen, Vorträgen sowie mit Diskussionen aller Planungs- und Ausführungsbeteiligten die ganze Palette von der ersten Idee bis zur Verwirklichung gezeigt. Dies geschah alles unter der Leitung des Direktors der IBA Wien, Herrn Kurt Hofstätter mit seinem Team (Herrn Rudi Scheuvens, dem Dekan der Fakultät Architektur und Raumplanung der TU Wien, den Vertreterinnen und Vertretern des Wohn-Fonds Wien und dem Chef der Planungsdirektion der Stadt Wien mit Herrn Thomas Madreiter). Der Wiener Gemeindebau besitzt 220 000 Wohnungen; dies ist ein Viertel des gesamten Wiener Wohnungsbaus. Das tägliche Programm erstreckte sich über 12-Stunden mit seinen IBA-Erlebnisorten, kulinarischen Pausen und den kulturellen Abstechern. Die Besichtigungen waren von Heiterkeit und Wissensdurst geprägt.
Jeden Abend fand ein gemeinsames Abendessen mit einigen Damen und Herren der korrespondierenden Mitgliedern der DASL statt. Hier war besonders Herr Prof. Dr. Klaus Semsroth beteiligt, der mit vielen Beaumonts die Wiener Planungslandschaft erläuterte, die selbstverständlich die Spannung und Aufmerksamkeit bei den Tischgesprächen hochhielten (Zitat: „Diese Art von Treffen haben gezeigt, dass wir für einen DASL-Stammtisch Potenziale zur Gründung haben.“).
Ein besonderer Erlebnismoment war der Besuch des Karl-Marx-Hofes, der älteste und bekannteste Wiener Gemeindebau, der 1925 errichtet wurde. Er umfasst ca. 1.400 Wohnungen für etwa 5.000 Menschen – eine wunderbare beglückende 20er Jahre Architektur, eine Stadt in der Stadt mit einer einmaligen Infrastruktur (Zentralwäscherei, Badehäuser, Kindergärten, Zahnklinik, Mütterberatungsstätte, eine Bibliothek, zwei Jugendheime, eine Krankenkassenstelle, ein Ambulatorium, eine eigene Möbelwerkstatt und ergänzt durch ein Geschäftszentrum) und wirkt noch 100 Jahre danach als imposantes Beispiel, wie soziales Wohnen aussehen kann.
Die Planung dieser ersten AWARD-Reise hat gezeigt, dass man Masterabsolventen auch mit einer gut organisierten zeitaktuellen Reise und mit ein bisschen Großzügigkeit begeistern kann. Diese Art der Förderpreisidee für Masterarbeiten lohnt sich fortzusetzen. Im Jahr 2023 geht es mit den Preisträgern zur 18. Architekturbiennale nach Venedig. Der Qualitätsmaßstab für die zukünftigen Reisen wurde in Wien gesetzt.
Klaus Fehlemann